Am 31. Juli 2013 fällt der Vorhang nach dem ersten Durchlauf des Rings der Zweihundertjahrfeier, in der Regie von Frank Castorf.
Die Buh-Rufe halten sich die Waage mit der Aufregung über eine Vorstellung, die die dem Publikum einen Rückschlag versetzte.
Die Presse riecht einen Skandal und macht sich sofort zum « Sprachrohr » der Proteste, die von einer großen Bedeutungslosigkeit, einer Provokation sprechen, andere auch von « Verrat ».
Schwerer wiegt allerdings, dass bestimmte Journalisten, die sich für Kenner halten, kaum ihre Unfähigkeit und ihre Weigerung verbergen können, die Verfechter und Unterstützer einer Produktion zu begreifen, die Konventionen tausend Meilen hinter sich lässt.
Die Nachsichtigeren unter ihnen rühmen die Art und Weise, wie genial Castorf das Denkmal « Wagner » verfremdet hat, eine Verfremdung, bei der nur die urkomischen und lächerlichen Elemente übrig geblieben sind.
Andere verteufeln diese neuerliche Missgeburt von Regietheater, die aus einem verfehlten Theaterverständnis resultiert und aus der Unerfahrenheit eines Neulings in der Opernregie.
Wieder andere erinnern sich schlussendlich daran, wie der Ring von Chereau 1976 zuerst mit Protestgebrüll und dann 1980 mit nicht enden wollendem Applaus aufgenommen wurde, und wie er am Schluss von der Mehrheit als Referenzaufführung verabschiedet wurde.
Wer würde es zwischenzeitlich wagen zu behaupten, dass dieser Castorf die wichtigste Etappe nach Chereau darstellt ?
Der Verstoß gegen die Konvention passt wie angegossen zur Welt des Theaters. Die Akzeptanz in der Welt der Oper gestaltet sich schwieriger.
Generationen von Interpreten und die Tradition haben Wagners Willen vergessen lassen,
sein Theater zu einem Ort der Öffnung und der Moderne zu machen, das was Wolfgang Wagner mit dem Wort „Werkstatt-Bayreuth“ gemeint hat, eine lebendige Heimstatt, in der die Werke des Meisters immer wieder in Szene neu gesetzt werden könnten.
Pierre Boulez hatte seinen Jahrhundertring dem Cineasten Ingmar Bergman vorgeschlagen und es war schließlich Chereau, ein junger Debütant in der Opernregie (er hatte vorher nur eine Italienerin in Algier und Hoffmanns Erzählungen gemacht), der ihn herausbrachte.
37 Jahre später ging Katharina Wagner einen ähnlichen Weg mit dem Ring zur Zweihundertjahrfeier : man wartete auf Wim Wenders, es wurde Frank Castorf, mit dem Unterschied, dass Castorf eine Theaterkoryphäe ist, der niemals zuvor eine Oper inszeniert hatte.
Fünf Jahre und ein Castorf-Lexikon danach (!) kann man das Ausmaß der Präzision ermessen mit der der Ex-Intendant der Volksbühne mit dem Libretto des Rings gearbeitet und geforscht hat.
Es gibt nicht ein Quäntchen der Handlung, und sei es noch so klein, das nicht seinen Platz in der Inszenierung gefunden hätte, die den Mythos in unsere gewalttätigere Gegenwart überträgt.
Wenn man der Metapher des schwarzen Goldes als neuem Symbol für den verfluchten Ring folgt, hat Frank Castorf seine Lesart erweitert, um dieses Riesenwerk als ein genaues Spiegelbild der Ängste und der Wahnvorstellungen unserer Zeit darzustellen.
Denkt man an das Sprichwort, dass die Realität die Fiktion noch übertrifft, lässt diese Arbeit niemanden gleichgültig, sie verändert grundlegend den Blick des Betrachters, der jeden Augenblick gefordert ist, sich zu hinterfragen und seinen Blick auf Wagner zu überprüfen, um hier eine genaue und stupende Übereinstimmung zu finden.
Seit 2013 hat die Welt nicht aufgehört, « castorfisch » zu sein, mit dem Untergang der Zivilisation im Fokus : Die Präsidenten scheinen die Anführer einer Gang zu sein, die Ideologien werden wie Werbung verkauft, die Kalaschnikows haben den Diskurs ersetzt, die
Krokodile beherrschen das Tierreich… Nach Castorf, die Sintflut ?
Als er 2013 vom Spiegel gefragt wurde, kündigte Castorf an : „Ich möchte nicht den Jahrhundertring vorstellen, (…) Mir genügt es, den Ring des Jahres zu präsentieren.“
Beten wir, dass die Zukunft ihn Lügen straft.
Dieser Artikel wurde von Guy Cherqui und David Verdier verfasst