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Frank Castorf ist besessen von Berlin. Er könnte als sein Motto das berühmte „Ich bin ein Berliner“ Kennedys aus dem Jahre 1963 übernehmen. Er wurde in Berlin geboren, doch sein persönliches Universum ist Ostberlin. Castorf hat stets im Osten gearbeitet und es ist der Osten, der ihm geformt und ausgebildet hat – wie die meisten großen Regisseure seiner Generation (Götz Friedrich, Harry Kupfer, Ruth Berghaus, Heiner Müller). Wenn es eine in Ost und West geteilte deutsche Identität gibt, so ist es wohl die Theaterkultur. Da sie die von Brecht gelegte Spur kultivierte, konnte sie von der ostdeutschen Ideologie nie zum Schweigen gebracht werden.

 

Die Wiedervereinigung führte zunächst dazu, dass die Ossis von den Wessis erobert wurden, ihre Identität wurde verleugnet. Sich auf eine wohl verwurzelten kulturelle Realität stützend, deren Produkt er ist, wird sich Castorf weigern, den Osten schlicht als „ausgelöscht“ zu betrachten, auch eingedenk dessen, was in vierzig Jahren DDR aufgebaut wurde. Daher seine Geste als Intendant der Volksbühne, nach der Wende ein beleuchtetes und stolzes „OST“ ganz oben auf dem Dach des Gebäudes anbringen zu lassen. Aber im Kontext des Rings ist Berlin weit mehr : Der Westen als Spiegelung eines durch seine ideologischen und ökonomischen Werte pervertierten Abendlands, der Osten Abglanz eines durch ideologisches Ersticken pervertierten „Orients“; Berlin ist doppelt und einzigartig, da beide Teile der Stadt ihre Kultur auf die gleiche Geschichte und die gleiche Tradition gründen. Castorf ist das Produkt und der Analytiker dieser schizophrenen Geschichte.

 

In den ersten beiden Teilen, im Rheingold und der Walküre, die sich den Wurzeln der Geschichte widmen, wird Berlin mit Absicht unscharf und auf Abstand gehalten, da diese Wurzeln nicht von Deutschland handeln, sondern von der Welt. Im Siegfried und der Götterdämmerung wird der Bezug durch ein ungeordnetes Spiel von Rückblenden und Vorgriffen deutlicher, die Berlin vor und nach der Wiedervereinigung zeigen. Das verblüffende Bühnenbild des Aleksandar Denić zeigt eine zugleich poetische wie hyperrealistische Nachbildung der wichtigsten, vom sozialistischen Osten erbauten „Monumente“: den Alexanderplatz am Fuße des Fernsehturms, insbesondere die an der U‑Bahn-Station gelegene Postfiliale sowie die Weltzeituhr (Urania) – der Treffpunkt der Ostjugend dient hier als Kulisse der Liebe des jungen Paars, des Helden zu Brünnhilde, aber auch des alten Paars Erda und Wotan. Gleich nebenan das übliche traurige Restaurant mit dem in Deutschland unvermeidbaren Biergarten. Denn das Bühnenbild des dritten Aktes vom Siegfried ist reich ausgeschmückt, die Anspielungen auf das „alltägliche Berlin“ sind verknüpft mit der Revuetänzerin (siehe auch den Artikel „Vogel“), auf gewisse Art mit den Krokodilen sowie dem U der U‑Bahn, die lange Zeit Ort der Durchreise war zwischen Ost und West. Der zerbrochene Speer Wotans erinnert an den Fall der Mauer : Das Bühnenbild dreht und wir wohnen dem Raub von Fafners Schatz bei, während ein Angestellter in der Vitrine die Ostprodukte durch Champagnerflaschen ersetzt – was die Kunden anzieht, die zum Schaufensterbummel gekommen sind.

 

In der Götterdämmerung öffnet Brünnhilde die anlässlich des Mauerfalls erschienene Ausgabe des Spiegel, worin das kommende Ende Walhallas wiederhallt, das ihr Waltraute ankündigen wird. Zugleich vollzieht sich in der Götterdämmerung der Anschluss an den Westen[i]: Das sich um seine eigene Achse drehende Bühnenbild – es erinnert bald an den Eisernen Vorhang, bald an die Mauer (nahe der sich das Geschäft „Obst und Gemüse“ befindet und Siegfried getötet werden wird…), aber auch an etwas, das man für den von Christo eingehüllten Reichstag halten kann – steckt voller, für den deutschen Zuschauer sofort ersichtlicher Anspielungen und man versteht mühelos das obsessive Paradox der Castorf'schen Semiotik, das unablässige Aufklären und Vernebeln der Bezüge in einem ewigen und ironischen „Ich liebe dich, du mich auch nicht“. Jedenfalls sehen wir Berlin hier zugleich als Symbol für den ideologischen Kampf (und die Teilung), samt seinem Streitobjekt Öl-Gold, wie als äußerst intertextuelles Emblem der Arbeit Castorfs, die besonders geprägt ist durch das Territorium, in dem er gearbeitet hat, durchdrungen von den beiden vorherrschenden Ideologien des 20. Jahrhunderts. In diesem Sinne präsentiert er eine „Sichtweise“ des Rings – wozu es leugnen – die Instrument seiner persönlichen Beschäftigung mit der Entwicklung der Welt ist und dem künstlerischen Blick, den er darauf wirft ; aber umgekehrt sieht er in dieser Entwicklung auch eine Illustration des visionären Blicks Wagners. Berlin, lange Zeit Symbol des Kalten Krieges und des Kampfes um Vorherrschaft, schreibt sich logisch ein in einen historisierten Ring, der den Kampf um die Macht, den Kampf ums Öl-Gold und den ideologischen Kampf miteinander verschmilzt.

 

[i]     Wenn Siegfried Gutrune in seiner empörten Antwort Ost und West ins Gedächtnis ruft ("Zwischen Ost und West der Nord : so nah – war Brünnhild' ihm fern" Götterdämmerung II,2), erinnert er an die Teilung Berlins… aber auch an die Ausrichtung der beiden Seiten des Bühnenbildes im Festspielhaus Bayreuth.

Dieser Artikel wurde von Guy Cherqui und David Verdier verfasst

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Castorf / Wagner
Der Ring des Nibelungen
Bayreuth 2013-2017
Livre bilingue / Zweisprachiges Buch fr/de
Paru/Erschienen.
Contact / Kontakt: castorf.ringbook@wanderer.legalsphere.ch

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